Was ist mir noch geblieben?

„Was ist mir noch geblieben?“ – das „Leben“ nach dem Leben

Was fange ich mit diesem Bild in meinem Kopf an?“ fragte ich mich, als ich zum ersten Mal Herrn Krause (69) sehe. Der Arzt einer Hamburger Klinik hatte mich angerufen und um eine Beratung von Herrn Krause gebeten, dem nur wenige Tage zuvor ein Bein im Oberschenkel amputiert worden war.

Herr Krause sitzt vor der Klinik im Rollstuhl. Nein, eigentlich „sitzt“ er nicht. Er ist zusammengesunken. Das rechte Bein seiner Sporthose hängt leer nach unten. Auch der Blick von Herr Krause ist leer. Ich spreche ihn an – er sieht durch mich hindurch. Ich stelle mich vor, erzähle ihm kurz, warum ich hier bin, berichte ihm, dass ich gekommen bin, um mit ihm zu besprechen, wie sein Leben weitergehen kann – das Leben mit einem Bein. Er scheint nicht zu verstehen. Ich kann ihn nicht „greifen“ – er blickt an mir vorbei. Vorsichtig nähere ich mich dem Thema: „Wie leben Sie, Herr Krause?“ Er starrt mich an: „Meine Frau ist schon vor drei Jahren gestorben. Ich bin seitdem im Pflegeheim.“ Trostlosigkeit macht sich breit. „Die versorgen mich. Aber ich will das gar nicht mehr!“ Weiter sackt er in seinem Rollstuhl zusammen – beinahe ein Knäuel Mensch. Seine Stimme ist so leise, dass ich mich weit hinunter beugen muss, um ihn zu verstehen. Es dauert lange, bis er langsam anfängt zu erzählen.

Er war Kapitän. Auf den Weltmeeren zuhause. Hat seinen Mann gestanden. Als er von einer Fahrt in einem Orkan berichtet, wird seine Stimme kräftiger, seine Augen bekommen einen wehmütigen Glanz. „Ich war immer beliebt bei meiner Mannschaft“, sagt er. „Ich habe das Schiff oft durch schweren Sturm gelenkt!“ Sein Blick fällt wieder auf das leere Hosenbein. „Was ist mir geblieben?“ fragt er mich – und ich habe darauf noch keine Antwort.

Von seinen behandelnden Ärzten weiß ich, dass eine Prothesenversorgung aufgrund der Schwere der Grunderkrankung von Herr Krause nicht möglich sein wird. „Bis zur Einweisung in die Klinik konnte ich noch ganz gut gehen. Aber dann wurden die Schmerzen im Bein immer unerträglicher. Jetzt muss ich im Rollstuhl sitzen und bin jeden Moment auf Hilfe angewiesen…“

Sicher kann ich ihm ein paar Tipps über Bewegung, Entspannung, Erfahrungsaustausch geben. Doch: Noch lange denke ich an diesem und an den folgenden Tagen über das Schicksal von Herrn Krause nach. Ein gestandener Mann, dem das Leben alles genommen hat und der von nun an auf fremde Hilfe angewiesen sein wird. Kinder hat er nicht. Die einzigen Verwandten wohnen im Ausland.

Welche Möglichkeiten hat Herr Krause noch, um am Leben teilzunehmen? Einem Leben, das viele in seinem Alter genießen und sozusagen „die Früchte ihrer Arbeit ernten“. Die Erträge eines Lebens voller Arbeit und dem Dasein auch für andere, der Verantwortung und Pflicht.

Ein weiteres Gespräch mit dem Arzt von Herr Krause zeigt denkbare Perspektiven auf. Er bestätigt, dass Herr Krause sich bewegen, die Muskeln aufbauen – natürlich seinen Möglichkeiten entsprechend moderat – dann wäre er nicht nur auf Hilfe angewiesen, können sogenannte Transfers (z. B. vom Rollstuhl auf einen normalen Stuhl, auf die Toilette usw.) allein machen und würde sich dadurch ein Stück Selbständigkeit erhalten. Natürlich wäre es hilfreich, mit anderen in Kontakt zu treten, die ein ähnliches Schicksal haben. Ja, er könnte auch schwimmen. Das Wasser würde seine verkrampften Gelenke und Muskeln lockern. Nein, im Pflegeheim wäre das alles nur in sehr geringem Maße möglich. Einzelphysiotherapie, evtl. zweimal die Woche – mehr nicht.

Es lässt mich wirklich nicht los! Wir als gemeinnütziger Verein für Menschen mit Amputationen und von Amputation bedrohten Menschen bieten alles: Muskelaufbau, Fitness, Schwimmen, Erfahrungsgruppen und eine Vielzahl anderer Aktivitäten.

Aber es wird Herrn Krause nicht möglich sein, an diesen Aktivitäten teilzunehmen. Warum? Das Pflegeheim, in dem er lebt, liegt eine Dreiviertelstunde von unserer Einrichtung entfernt. An die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel ist für Herrn Krause nicht zu denken. Krankenkassen und andere Träger kommen für die Leistungen, die wir bieten und die durchaus erwünscht sind, nicht auf.

Ich unternehme, was im Rahmen meiner Möglichkeiten liegt: Kontakt zum Pflegeheim, um deutlich zu machen, welche Übungen und Mobilisierungsarten für Herrn Krause wichtig sind, damit er langsam wieder Vertrauen in seinen Körper findet. Ich kann mit Herrn Krause sprechen, ihn besuchen, ihn mit anderen Amputierten seines Alters zusammenbringen, die noch mobiler sind und ihn besuchen.

Das Schicksal von Herrn Krause ist kein Einzelfall. Sehr viele Menschen „leben“ zurückgezogen, isoliert und nicht selten nach einer Amputation allein mit gewisser Verwahrlosungsgefährdung oder in Pflegeeinrichtungen.

Unsere Haupt-Sponsoren hatten und haben es nicht zur Auflage gemacht, alle Menschen, die wir betreuen, „wieder auf die Beine zu stellen“, sondern auch, ihnen zur Seite zu stehen in dieser neuen Lebenssituation, ihnen Mut machen, ein wenig Lebensqualität zu vermitteln.

Aber langfristig möchten wir deutlich mehr:

Wir möchten unser Angebot ausdehnen, erweitern:
Zum Beispiel Mobilitäts-Gruppen für Rollstuhlfahrer, Fahrdienste, öffentliche Aufklärungs-Veranstaltungen, Kooperation mit Senioren-Einrichtungen –

aber uns fehlen die finanziellen Mittel …

… das ist nur ein Beispiel von vielen, bei denen die Beratung schnell an Grenzen stößt, die Begegnung mit anderen im Verein zwar möglich ist, Wünschenswertes aber leider an der Fragen der finanziellen Machbarkeit leicht scheitert…

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